Der Umbruch.

Ich habe das Gefühl wir befinden uns im Umbruch. Ich sehe immer mehr Serien auf einschlägigen Streaming Diensten, die sich mit den Themen Minimalismus, Ausmisten, Entrümpeln und Tiny Houses beschäftigen. Mit weniger, statt mehr. Mehr und mehr Bücher zu all dem werden veröffentlicht, mehr Coaches machen sich selbstständig, mehr Online-Kurse schießen aus dem Boden. Wir sind in einer Zeit des Wachstums groß geworden. Nach den Verlusten, die die Generation unserer Großeltern erleiden mussten, strebten alle nach MEHR. Nach Luxus, nach Eigentum. Um letztendlich zu begreifen, dass Eigentum nicht immer nur Luxus ist. Also saßen wir plötzlich auch auf einer Ansammlung aus Zeug, das wir gar nicht brauchten, das uns belastete, schwer machte. Und nun sehnen wir uns kollektiv nach weniger. Gleichzeitig wünschen wir uns sehnlichst das Mehr eines anderen Luxus: Zeit. Zeit für sich selbst, Zeit für die Lieben. Wir erkennen, dass unser Streben zwar Aufschwung, aber nicht zwingend Glück brachte. Und so sind neben den Luxus-Resorts dieser Erde plötzlich auch wieder Zelte, Bauwagen und Camper im Trend. Weil sie das symbolisieren, was wir verloren haben. Übersichtlichkeit.

Die erste Ahnung von Freiheit.

Ich habe das Campen schon immer geliebt – meine frühesten Reise-Erinnerungen beginnen im Wohnmobil. Frankreich, Spanien, Portugal, meine Eltern und ich, ein Federball-Set und Schoko-Eis mit Erdbeeren vor der Caravan Tür. Es hat salzig nach Meer gerochen und nach den Pinienwäldern, in welchen wir parkten. Nach Sonnenmilch und Grillkohle. Als Kind hatte ich keinen Namen für das Gefühl, das ich empfand, wenn wir unterwegs waren. Ich war einfach nur glücklich und zufrieden, Zeit hatte keine Bedeutung, die gab es für mich ausreichend. Heute habe ich ein Wort: Freiheit. Mich haben diese ersten Jahre unheimlich geprägt. Als Jugendliche und junge Erwachsene war ‚Roadtrip‘ mein Lieblingsbegriff, ich hatte für jeden Ausflug ein passendes Mixtape dabei. Und Haferkekse. Fast jedes Wochenende trieb es mich über die Grenzen der Stadt hinaus, geschlafen wurde im Heck des Kombis, Zähne geputzt an Raststätten. Von Komfort keine Spur, aber ich habe mich frei gefühlt. Grenzenlos. Festivals in halb Europa, ein Wochenende am See in der Schweiz, Eis essen in Holland – egal was, ich wollte nur los.

The road must eventually lead to the whole world.
– Jack Kerouac

Vom Zelt zum rollenden Zuhause.

Mittlerweile lebe ich in Island und kann nicht mehr spontan in ein anderes Land fahren. Roadtrips liebe ich trotzdem. Und offene Straße haben wir hier massenhaft im Angebot. Im Hochsommer ist das Zelten an abgelegenen Plätzen ein Traum, aber Hochsommer haben wir zusammengenommen ca. eine Woche und Zähne putzen mit Blick auf die Berge oder das Meer ist auch bei 10°C wunderbar. Wir haben also vor ein paar Monaten begonnen, Wohnwagen zu besichtigen. Spielen mit dem Gedanken, vielleicht sogar eine Zeitlang nicht nur die Insel damit zu erkunden, sondern ihn auch als tatsächliches Zuhause zu nutzen, bevor wir uns so richtig niederlassen. Und wenn wir die Insel mal verlassen, dann kommen Hotels schon lange nicht mehr in Frage.

Wie die Freiheit uns packte.

Ich glaube, wer auf den Geschmack des Reisens im mobilen Zuhause gekommen ist, der kommt davon nicht mehr los. Meine Eltern sind es nicht, ich bin es nicht. Ich möchte die Welt in meinem Tempo sehen. Ich möchte halten, wo es mir besonders gut gefällt. Ich möchte unter freiem Himmel essen, wann immer es das Wetter zulässt. (Und weil ich ein ziemlicher Foodie bin, müssen es nicht unbedingt die Dosenravioli mehr sein. ;)) Wenn ich reise, dann möchte ich loslassen. Ich möchte Alltagsstress nicht gegen eine andere Art Stress eintauschen, ich möchte mich an keine Vorgaben halten, was Uhrzeiten, Kleidung und Route anbelangt. Ich möchte selbst entscheiden. Alles. Spontan, autark, ungezwungen. Frei. Ich möchte alle Panoramen in mich aufsaugen, ich möchte mich entschließen können. Ich möchte kochen, wenn mir danach ist oder ein Sterne Restaurant ausprobieren, wenn eines auf meinem Weg liegt. Ich möchte Wein trinken, direkt am Meer, der Sonne beim Untergehen zusehen und danach nicht ein Taxi, sondern nur die Stufen zu meinem Bett nehmen müssen.

Jeder definiert sie sich selbst.

Ich LIEBE die Natur, das Leben lebe ich draußen. Ich probiere gern verschiedenste Outdoor-Sportarten aus und wenn ich reise, dann möchte ich an einem Tag Trail laufen, am nächsten schwimmen, stundenlang in der Hängematte lesen, spontan irgendeine hübsche Ortschaft und die lokale Küche erkunden, dann wieder bergsteigen, das Kajak ins Wasser lassen oder das SUP. Ich möchte in meinem Badeanzug Mittag essen, direkt wenn ich aus dem See steige. Ich möchte aber auch mal ein Kleid anziehen und richtig fein ausgehen. Und mich vor allen Dingen vorab nicht festlegen, wann ich was mache. Für mich ist das Wohnmobil der Inbegriff von Freiheit und ‚echtem‘ Luxus. Ich wühle mich am Morgen aus meiner eigenen Bettwäsche, mache mir einen richtig guten Kaffee, öffne die Tür, lasse kühle Luft einströmen, klettere barfuß hinaus und genieße, was auch immer für ein Panorama der neue Tag mir bietet. Ich bereite mir mein Frühstück genau so vor, wie ich es liebe, keine Einschränkungen, wie beim Zelten oder am Hotel-Buffet. Ich esse draußen, überlege mir, was die nächsten 24h bringen sollen. Ich lebe in den Tag hinein und erlebe dabei so viel, dass ich noch Wochen nach meiner Rückkehr davon zehre. Für mich verbindet das Wohnmobil die Ausstattung und Unabhängigkeit eines Ferienhauses mit der Freiheit, es von A nach B bewegen zu können. Ich habe alles, was ich brauche, aber von nichts zu viel. Es erdrückt mich nicht, es lässt mich atmen.

Wir haben es selbst in der Hand.

In einer Zeit, in der die Welt einen oftmals zu erschlagen erscheint, einer Zeit, in der das Tempo manchmal bis zum Maximum angezogen wird, in der ‚Achtsamkeit‘ und ‚Entschleunigung‘ Dinge sind, für die wir Kurse belegen oder uns Apps kaufen, bieten mir 10 Tage ‚on the road‘ genau das und mehr. Die Rotation meines kleinen Kosmos verlangsamt sich. Meine Smart-Watch zeigt mir nicht mehr an, dass ich dringend mal Pause machen sollte, weil mein Stresslevel zu hoch ist. Sie vibriert nicht, um zu sagen, dass ich jetzt vom PC aufstehen und mich bewegen sollte. Ich meditiere nicht auf der Matte, sondern in dem Moment, in dem ich die Tür öffne und der Natur zuhöre. Ich brauche nichts, ich suche nichts, keine To-Do Liste, kein Zwang. Nur Freiheit. Auch wenn es manchen paradox erscheint, ich persönlich kann den Wunsch nach Weniger gut verstehen. Weniger Zeug, weniger Platz, weniger Last.

Wir leben im Wohlstand, verglichen mit dem Rest der Welt. Sich für ein Weniger entscheiden zu dürfen, ist selbst ein unglaublicher Luxus. Wir haben das Privileg, unser Leben langsamer, bewusster leben zu können. Machen wir das Beste draus!